Märchen und Satire, Und Mehr

Märchen & Satire

Märchen

1.8.2021          Der alte Prinz
 Abends im Sommer sitze ich gern und manchmal bis spät auf der Terrasse unserer Wohnung, sehe in den Himmel und den kleinen Garten vor mir. Meistens ist es dann sehr ruhig, weil die meisten Menschen, die um uns herum wohnen, am nächsten Tag wieder arbeiten und ihre Kinder in die Schule gehen müssen. Da fallen mir auch schon mal die Augen zu. Deswegen weiß ich jetzt gar nicht mehr so richtig, ob das, was ich Euch jetzt erzählen will, an diesem Abend wirklich geschehen ist. Sonst wäre es nämlich ein Märchen, aber auch die sind ja manchmal wahr. Da stand doch plötzlich ein älterer Mann mit weißen Haaren vor mir, den ich ganz gut im Licht der Lampe, die hinter mir an der Hauswand hängt, erkennen konnte. Er war mir mit seiner schmalen Figur und den weißen Haaren sogar etwas ähnlich. Ich erschrak aber gar nicht, obwohl mir das nun wirklich noch nie passiert war. Deswegen sagte ich: Guten Abend, was machst Du denn hier? Nach einer kurzen Pause, er musste sich wohl orientieren, wo er jetzt war, antwortete er: Ich komme vom Planeten B612. Jetzt war ich erstmal sprachlos, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ‚Dorther kam doch der kleine Prinz‘ sagte ich und jetzt war das Erstaunen bei meinem Gast als er sagte: ‚Ich bin der Prinz vom Planeten B612, aber woher weißt Du denn das?‘. Darauf erzählte ich ihm, dass vor vielen Jahren ein Schriftsteller und Flugpilot einen kleinen Prinzen in der Sahara getroffen hatte, der ebenfalls vom Planeten B612 kam. ‚Ja das war ich‘ sagte mein Gast. Ich erzählte ihm auch, dass der Pilot darüber ein Buch geschrieben hatte, das noch heute viele Kinder und sogar Erwachsene gerne lesen. ‚So ein Zufall‘, sagte mein Gast, ‚da haben sie mich also wieder auf der Erde geschickt. Du musst nämlich wissen, dass ich noch immer jedes Jahr auf einen Planeten geschickt werde, weil ich nicht genug davon bekommen kann, andere Menschen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen.‘ Diese Worte machten mich froh, wie Ihr Euch denken könnt. Ich rückte einen Gartenstuhl heran und bat ihn, sich zu mir zu setzen. Da ich sehr neugierig war, fragte ich ihn gleich, wie es ihm denn ergangen sei seit dem Zusammentreffen mit dem Piloten. Er erzählte mir eine Menge über die vielen Planeten, die er inzwischen besucht hatte und von seinen Erlebnissen dort. Über seinen ersten Besuch auf dem Planeten Erde berichtete er nur Freundliches. Er habe an Antoine, den Piloten, so schöne Erinnerungen. Der habe ihm ein Schaf gemalt und habe ihm in der Wüste Wasser gegeben, als er ganz schrecklichen Durst hatte. Da fiel mir siedend heiß ein, dass es bei uns üblich ist, einen Gast zu fragen, ob er etwas trinken möchte. ‚ja gern etwas Wasser‘ antwortete er und ich brachte schnell zwei volle Gläser mit Leitungswasser, das ich auch selbst gern trinke. Er trank und erzählte, dass Antoine ihn so herzlich in den Arm genommen habe und ihm ein wirklicher Freund geworden sei. Das freute mich zwar jetzt, aber ich war mir nicht sicher, ob es mir gelingen würde, dass er auch von mir so schöne Erinnerungen wie damals mitnehmen würde. Denn ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er wieder weg wollte. Er zeigte mir nämlich einen Stern, und es war der einzige, der heute am Himmel leuchtete, und sagte ‚Wenn er leuchtet, wird es wieder Zeit für mich‘. Das erschreckte mich ein wenig und ich fragte ihn, ob er vielleicht etwas essen wolle. ‚Nein danke‘, war seine Antwort, ‚aber da ich inzwischen recht alt bin, erzähle mir von den Menschen in Deiner Nähe.‘ Das tat ich und berichtete von der Frau, mit der ich schon lange zusammenlebe und unseren beiden Kindern, die auch schon erwachsen sind und selbst wieder Kinder haben, und dass wir alle Freunde und gern zusammen sind. Ich erzählte ihm auch von unserem Hund Hexe, der uns gut gezähmt hat, wie er es damals mit Antoine getan hat.‘ Da lächelte der Prinz: ‚Ja, das stimmt‘. Dann wurde er ernster: ‚Ich freue mich über das was Du gesagt hast‘ fügte er hinzu, denn mir erging es ähnlich. ‚‘Ich habe auch eine Frau, Kinder und Enkel, doch das ist nur der schöne Teil in meinem Leben‘ und dabei sah er plötzlich traurig aus ‚Du weißt doch, dass mein Planet sehr klein ist‘ fuhr er fort. ‚Und als meine Familie immer größer wurde, machten wir uns Sorgen, wie es weitergehen sollte. Da traf es sich gut, dass öfter ein sehr viel größerer Planet, der Edre, vielleicht hast Du ihn ja auch schon mal gesehen, auf seiner Laufbahn ab und zu dicht an unserem Planeten vorbeiflog, bis er wieder für eine Zeitlang in der Ferne verschwand. Als er dann eines Tages ganz dicht an uns vorbeirauschte, fassten sich einige meiner Enkel ein Herz und sprangen hinüber. ‚Wir kucken mal und kommen bald wieder‘ riefen Sie und winkten, bis man nichts mehr sehen konnte. Als der Edre dann eines Tages wieder in Sicht kam, freute ich mich. Die Enkel waren nicht nur wohlbehalten, sondern erzählten auch, wie gut es ihnen auf dem Edre gefiel. Der große Planet habe Wälder und Wiesen, Berge, viel Wasser und große Meere. Das klang so gut, dass nun immer, wenn die Edre vorbeirauschte, mehr meiner Kinder, Enkel und Urenkel hinübersprangen. Und jedes Mal erzählten sie, wie gut und immer besser es ihnen auf dem großen Planeten ging. Sie hatten nicht nur genug zu essen und zu trinken, sondern auch schöne Häuser und Wohnungen. Sie machten auch viele Erfindungen, die ihnen das Leben bequemer machten und das Arbeiten leichter. Eines Tages warfen sie mir sogar ein Gerät hinüber, das sie Handy nannten. Mit der Nummer, die sie damit wählten, konnten sie von dort mit mir sprechen und ich mit ihnen, auch wenn der große Planet noch sehr weit weg und gar nicht mehr zu sehen war. Das war für uns alle sehr schön und wir sprachen daher oft miteinander‘. Doch plötzlich wurde das Gesicht meines Prinzen ganz traurig als er fortfuhr ‚So erschrak ich doch sehr, als eines Tages wieder einmal mein Handy klingelte. Einer meiner Enkel erzählte, dass es auf dem Edre immer größere Probleme gäbe. Einige Menschen seien sehr reich geworden, wollten aber nichts abgeben an die immer mehr Menschen, die kaum noch etwas zu essen hätten. Daher gebe nun immer häufiger Streit und Menschen würden gegeneinander sogar kämpfen. Außerdem hätten kluge Menschen festgestellt, dass die vielen Vorräte auf und in dem Edre, die bisher das schöne Leben möglich gemacht hatten, zu Ende gingen. Das sei ja wirklich schlimm, antwortete ich und gab ihm den Rat, eben einfacher leben und nur so viel zu verbrauchen, wie auf dem Edre immer wieder nachwächst‘. ‚Wie recht Du hast‘, antwortete mein Enkel, aber die meisten Menschen wollen ihr Leben wie bisher leben und sagen, das sei alles nicht so schlimm und neue Erfindungen würden das sicher ausgleichen‘. ‚Hoffentlich gibt das kein schlimmes Ende‘, antwortete ich ihm. Eines Tages rief nun mein Enkel wieder an und seine Stimme zitterte: Großvater, es ist schrecklich. Unser Edre wird immer heißer und ich würde gern wieder zu Dir zurückkommen. Herzlich gern, antwortete ich ihm, aber Ihr werdet nicht alle hier Platz finden. Einige Zeit später rief mein Enkel wieder an und seine Stimme klang ganz verzweifelt: Wir haben zu viel von unserem Planeten weggenommen, er ist nun so leicht, dass wir gar nicht mehr bei Euch vorbeikommen. Unsere Laufbahn führt sogar immer weiter weg von Euch. Ich verstehe Dich auch kaum noch. Dann war nichts mehr zu hören und der Planet Edre kam auch nicht wieder vorbei. Du kannst Dir nicht vorstellen, wir schrecklich das für uns alle auf dem B612 war‘. Seine Stimme klang so traurig, dass ich Tränen in die Augen bekam. Um meine Rührung etwas zu verbergen, stand ich auf. Auch er hatte sich erhoben und sagte ‚es ist spät geworden und der Stern leuchtet sehr hell‘ Da nahm ich ihn einfach in die Arme und drückte ihn kräftig. Als ich mich wieder hinsetzte, zog ich seinen Stuhl etwas heran und bat ihn, sich doch wieder zu setzen, auch ich würde ihm gerne etwas erzählen, und begann, ihm von der unserer Erde bevorstehenden Klimakatastrophe zu berichten und wie ich und viele andere Menschen bisher vergeblich versucht hätten, dagegen etwas zu unternehmen, und wie ähnlich die Zukunft von uns vielleicht der Geschichte sein würde, die er mir gerade erzählt hatte. Er hörte mir schweigend zu. Als ich zum Ende kam und etwas traurig meinen Gedanken nachhing, stand er auf. Ich tat dasselbe, weil ich dachte, er wolle sich verabschieden. Aber er umarmte mich: „Du hast mich zwar nicht trösten können, aber ich weiß jetzt, dass ich mit meinen Sorgen nicht so alleine bin.“ Als ich mich wieder setzte und mein Taschentuch aus der Hosentasche zog, weil ich noch ein paar Tränen in den Augen hatte, stand er noch immer da. Hinter meinem Stuhl raschelte es plötzlich; da wuselte wohl unser Hausigel um die Ecke in sein Nachtquartier unter dem geborstenen Steinkrug. Ich bückte mich und sah kurz hinunter, und als ich mich wiederaufrichtete, meinte ich, einen kurzen Blitz gesehen zu haben. Mein Prinz war weg und der einzige leuchtende Stern war verschwunden. Als mich nun die Traurigkeit richtig packte, setzte ich mich, und machte die Augen zu, um zu überlegen, was da gerade geschehen war. Ich weiß nur noch, bevor ich auf meinem Gartenstuhl einschlief, zu mir selbst sagte ‚freue Dich doch, dass Du auf Deine alten Tage noch einen Freund gefunden hast‘. Und ich kann Euch jetzt aber wirklich nicht sagen, ob das alles an diesem schönen Sommerabend wirklich geschehen ist oder ich es geträumt habe. Das ist doch aber auch egal, oder?

10.7.2021  Nietzsche Nr. 190 – auch wenn er hier wohl kein Märchen erzählen wollte:
Das Lob der Uneigennützigkeit und sein Ursprung 
“Zwischen zwei nachbarlichen Häuptlingen war seit Jahren Hader: Man verwüstete einander die Saaten, führte Herden weg, brannte Häuser nieder mit einem unentschiedenen Erfolge im Ganzen, weil ihre Macht ziemlich gleich wer. Ein Dritter, der durch die abgeschlossene Lage seines Besitztums von diesen Fehden  sich fern halten konnte, aber doch Grund hatte, den Tag zu fürchten, an dem einer dieser händelsüchtigen Nachbarn zum Übergewicht kommen würde, trat endlich zwischen die Streitenden, mit Wohlwollen und Feierlichkeit: und im Geheimen legte er für seinen Friedensvorschlag ein schweres Gewicht, in dem er jedem Einzelnen zu verstehen gab, fürderhin gegen den, der sich wider den Frieden sträube, mit dem Anderen gemeinsame Sache zu machen. Man kam vor ihm zusammen, man legte zögernd seine Hand in die Hände, welche bisher die Werkzeuge und allzu oft die Ursache des Hasses gewesen waren – und wirklich, man versuchte es ernstlich mit dem Frieden. Jeder sah plötzlich mit Erstaunen, wie sein Wohlstand, sein Behagen wuchs, wie man jetzt beim Nachbar einen verkaufsbereiten Händler, anstatt eines tückischen oder offen höhnenden Übertäters hatte,…….Man sah einander alle Jahre am Tage des Bündnisses wieder , die Häuptlinge sowohl wie deren Anhang, und zwar vor dem Angesichts des Mittlers; dessen Handlungsweise man, je größer de Nutzen war, je mehr man ihr verdankte, immer mehr anstaunte und verehrte. Man nannte sie uneigennützig…..” Ist es wirklich seltsam, wenn mir dabei die Namen Russland einerseits und Europa (EU) andererseits einfallen?

07.01.1968                       Die Waldblume und der Feldbär 
Einmal, als es auf der Erde gerade besonders schön war, trabte ein Feldbär durch einen recht tiefen, dunklen Wald. Das tat dieser Bär übrigens jeden Tag, wenn auch manchmal ungern; aber auf der einen Seite des Waldes wohnte er und auf der anderen Seite lag die Stadt, wo er für sein Essen und Trinken und was er sonst  zum Leben brauchte, arbeitete. Mitten in dem tiefen Wald lag eine weite stille Wiese. Nun, an diesem Tag, der besonders schön war, kam unser Bär wieder einmal an dieser Waldwiese vorbei, wo er manchmal etwas ausruhte, weil sie über und über mit den vielfältigsten Blumen bedeckt war. Als unser Bär heute an der Wiese entlangzottelte, fiel ihm eine kleine Blume auf, die so zartgliedrig war und so wunderschöne Farben besaß, dass er ein wenig näher traben und sie betrachten mußte. Und als er das getan hatte, da konntc er den ganzen Tag nicht davonlassen, an die kleine Blume zu denken. Am Abend, als er heimschaukelte und sie wieder auf der Waldwiese aufsuchte, da stieg eine Sehnsucht in seinem Bärenherzen auf, wie er sie vorher nie gekannt hatte. Galant, wie er es gelernt hatte, machte er sich mit ihr bekannt, und kam nun fast jeden Tag, um sie zu bewundern, mit ihr zu sprechen und sich mit ihr zu freuen über alle Dinge, die um sie beide herum waren. Als der Bär schließlich merkte, daß er ohne seine Blume nicht mehr leben wollte, sagte er zu ihr: ‘Ich liebe Dich so, daß ich immer bei Dir sein möchte. Willst Du mit  mir kommen?’ Die wunderschöne Blume war ganz überrascht. Aber der Bär hatte ihr schon von Anfang an mit seiner Fröhlichkeit, seinen hübschen Ideen und so manchem anderen gefallen, und nachdem sie mit ihm so viele schöne Dinge gesprochen, getan und geplant hatte, mochte sie ihn so gern, daß sie sagte, sie wolle es sich überlegen. Und als sie es sich überlegt hatte, wie schön es sei, immer mit ihm zusammen zu sein, sagte sie eines Tages zu ihm: ‘Ja, ich komme mit Dir’. Unser Bär war ganz glücklich. Er grub seine Blume sorgfältig aus mit allen ihren zarten Wurzeln, nahm sie mit nach Hause und pflanzte sie in seinen Garten. Und dort waren die Beiden überglücklich zusammen. Sie war weit und breit die schönste und zartestc Blume, und die anderen in der Umgebung wohnenden Bären beglückwünschten die beiden und waren sicher auch ein wenig neidisch auf das Glück der beiden. Doch es dauerte gar nicht lange, da hatten die Wurzeln unserer wunderbaren Blume die letzte Walderde aufgesogen und sie fing an zu kränkeln. Auch der Wald mit seinen hohen schattigen Bäumen und die ruhige Wiese fehlten ihr sehr. Dazu kam, daß unser Bär schon einmal nicht mit der besten Laune nach Hause kam und sie dann nicht mehr so nett behandelte, wie er das früher getan hatte. Als er ihr dann auch noch vorwarf, daß sie nicht mehr so schön blühe wie früher, da sagte sie zu ihm: ‘Du mußt mich wieder in den Wald zurückbringen’. Das brachte unseren Bären in eine große Verwirrung. ‘Du gehörst doch zu mir. Ich kann nicht leben ohne Dich‘. ‚Wenn Du mich nicht zurückbringst‘, sagte die wunderschöne Blume, und ihre strahlenden Farben waren ganz dunkel geworden, ‘wenn Du das nicht tust, dann stirbt meine Liebe zu Dir bevor ich selbst sterbe.’ Das brachte den Bären nun vollends in Verzweiflung. Ruhelos trabte er auf und ab, sein Fell sträubte sich und er suchte er nach einem Ausweg, und er wusste, daß auch keiner der anderen Bären ihm hätte einen Rat geben können, weil keiner eine solche zarte Blume und noch dazu eine Waldblume besaß. Da sagte der Bär zu seiner Blume: ‘Auch wenn ich ohne Dich gar nicht mehr leben möchte, so sollst Du doch deswegen nicht sterben’. So sprach er, grub seine Blume aus und trug sie vorsichtig in den tiefen Wald zurück. Dort setzte er sie gerade da ein, wo sie gestanden hatte und machte dabei ein Gesicht, als sollte er in sein eigenes Fell eingenäht und bei lebendigem Leibe ersäuft werden. ‘Höre, mein großer Bär,’ sagte da die kleine Blume, ‚Du brauchst nur hier in den Wald zu ziehen, da kannst Du Dir eine Höhle bauen und wir können immer beieinanderbleiben, denn auch ich habe Dich lieb’. Der Bär aber schüttelte traurig seinen Zottelkopf und schlich zurück nach Hause; denn ihr müßt wissen: alle Feldbären leben  auf dem  Feld und in der Stadt, wo es laut und lebhaft ist; und wo die anderen Bären wohnen. Dort fühlte sich auch unser Bär zu Hause. Da saß er nun in seinem schönen Haus, unterhielt sich mit den anderen Bären und tat auch all die anderen Dinge, die er sonst immer getan hatte. Aber es war nicht wie früher, und er wurde immer trauriger und stiller. ‘Ich kann doch nicht im Wald leben‘, sagte er zu sich, ‘da werde ich ja zum Waldbär, da ist es so dunkel und so unheimlich still, und die anderen Bären sind auch nicht da.’ Wie er nun wieder durch den Wald trabte, getraute er sich nur einen kurzen Blick auf seine Blume. Die stand dort wieder schon wie früher und blühte in noch strahlenderen Farben – vielleicht weil sie etwas erlebt hatte, was die anderen Blumen nicht hatten erleben können. Unser Bär aber wurde immer trauriger und sein Fell sah schon aus als sei es drei Nummern zu groß. Doch eines Tages ging  er aus dem Haus, schlug einfach die Tür hinter sich zu und trabte in den tiefen Wald. An der weiten Waldwiese angekommen, machte er sich sogleich an die Arbeit, schlug Holz, suchte eine passende Stelle und baute sich am Rand der Wiese unter einer großen Tanne eine Höhle. Als alles einigermaßen fertig war, ging er zu seiner Blume und sagte: ‘Erlaubst Du nun, daß ich Dich zu mir trage?’ ‘Aber natürlich’, mein großer Bär’, sagte die wunderschöne Blume. Und als sie am Waldrand dicht neben seiner Höhle stand und sagte ‘So schön war es noch nie hier auf der Waldwiese’, da war nicht nur der Bär, sondern auch seine wunderbare Blume wieder glücklich. Und das ist das Ende der Geschichte. Doch wenn ihr auf einer Waldwiese mal einer besonders schönen Blume begegnet, vielleicht ist sie es.

Satire

30.6.2022                Der Merzkanzler – (m)ein Zukunftsbericht
Zwei Jahre nach dem überwältigenden Wahlsieg 2027 hat der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz dem Spiegel ein Interview zu den ersten beiden Jahren seiner Kanzlerschaft gegeben:

Spiegel: Herr Merz, Sie haben nach Ihrer Wahl deutlich gemacht, dass Sie als ehemaliger Europachef von Blackrock, dem größten Finanzunternehmen weltweit, die Bundesrepublik wie ein Unternehmen führen werden. Halten Sie das heute für gelungen?
Merz: Aber ja, sehen Sie sich die Bundesrepublik an, ein blühendes Land.
Spiegel: Herr Bundeskanzler, Kritiker werfen Ihnen vor, bei der Sanierung Deutschlands zu brutal vorgegangen zu sein.
Merz: Das sehe ich keineswegs so. Nachdem die CDU den bürgerlichen Flügel der AfD und damit deren Wählerschaft übernommen und die Ampel durch ihre übertriebene Umsteuerung die Deutschen total verunsichert hatte, habe ich den neuen Gremien meiner Partei ganz deutlich gesagt, dass die angestrebte konservative Revolution nur durch eine Art Unternehmenssanierung machbar ist, zumal nach der Rezession, die wir nach Coronakrise und Ukraine-Krieg erleben mussten. Und streng marktwirtschaftlich gesehen gibt es auch in Deutschland Sektoren, die weniger leistungsfähig sind. Die natürliche Folge war, die unproduktiven Teile abzustoßen.
Spiegel: Sie meinen damit die neuen Bundesländer?
Merz: Ganz richtig, aber nicht alle. Thüringen und Sachsen haben sich als sanierungsfähig erwiesen. Wir haben sie daher erhalten. Für Mecklenburg-Vorpommern konnten wir nichts mehr tun, Totalverlust. Da kam uns das Angebot der US-Administration sehr gelegen, das Land zu pachten, in dem es ausreichend Raum gibt für Fracking-Gas-Förderung und die umfangreichen Tanks für das aus den USA gelieferte Flüssiggas. Neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Jahrespacht konnten wir sogar die Übernahme der Landesschulden erreichen. Ein guter Deal für uns, wie mir der US-Botschafter gerade bestätigte.
Spiegel: Und Brandenburg haben Sie sogar an Polen verkauft.
Merz: Richtig. Vergessen Sie dabei aber nicht das Ergebnis dieses wirtschaftlich besonders sinnvollen Deals. Polen hat damit nicht nur die Schulden Brandenburgs übernommen, sondern sich auch verpflichtet, drei Millionen der ärmsten deutschen Rentner anzusiedeln, die dort mit ihren deutschen Renten doppelt so gut zurechtkommen werden wie hierzulande. Mit diesem Befreiungsschlag haben wir die Sozialhilfekosten massiv reduziert und den Kommunen wieder auf die Beine geholfen.
Spiegel: Ihr letzter Coup war ja auch der spektakulärste, nämlich die Sanierung des Bundeshaushalts durch den Verkauf der Staatsschulden an einen Pensionsfonds von Blackrock, der offenbar als einziger diesen Brocken stemmen konnte. Die Kritik, vor allem aus Bayern, stört sich vor allem daran, dass Sie als Sicherheiten neben deutschen Kulturgütern wie dem Kölner Dom, Rotenburg ob der Tauber auch verschiedene Bayerische Schlösser dafür verpfändet haben.
Merz: Verpfändet ist nicht verkauft. Die Bevölkerung kann diese Liegenschaften weiterhin ungehindert nutzen.
Spiegel: Den ungewöhnlichsten Weg sind Sie bei den Arbeitslosen gegangen.
Merz: Das hat zuerst zwar kaum einer begriffen, doch Arbeitnehmer werden nun einmal entlassen, wenn sie für das Unternehmen keinen Gewinn mehr bringen. Das habe ich nur auf den Staat übertragen, und von den zwei Millionen Arbeitslosen diejenigen, die nicht als Söldner im Ukrainekrieg arbeiten wollten, aus der Staatsbürgerschaft entlassen und aus Deutschland ausgewiesen.
Spiegel: Und wohin?
Merz: Unterschiedlich. Nicht wenige sind in Indien und anderen nur mäßig entwickelten Ländern untergekommen. Eine ganze Reihe haben sich als Soldaten in diversen afrikanischen und südamerikanischen Bürgerkriegsländern verpflichtet. Auch im Nahen Osten und in einigen totalitären Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind nach unseren Informationen Viele untergekommen.
Spiegel: Eines Ihrer ersten Vorhaben, nämlich die Bundesrepublik langfristig zum 52.US-Bundesstaat zu entwickeln, ist ja bekanntlich gescheitert. War das zu hoch gegriffen?
Merz: Keineswegs. Wie das Beispiel Puerto Rico zeigt, wäre eine solche Fusion durchaus sinnvoll, da wir mit den USA wirtschaftlich schon jetzt kaum noch enger verbunden sein können. Mit der Weltmacht USA im Rücken könnten wir uns auch gegenüber der künftigen Weltmacht China besser positionieren. Die nach wie vor entscheidungsunfähige EU wäre ebenfalls kein Hindernis. Nur mit Rücksicht auf das noch immer starke Interesse unserer Exportwirtschaft am EU-Markt haben wir die Verhandlungen damals abgebrochen.
Was meine Außenpolitik betrifft, kann ich Ihnen übrigens noch zwei gute Nachrichten mitgeben: Die Deutschen stören sich ja schon lange an der Lagerung von US-Atomraketen auf deutschem Boden. Wir sind gerade dabei, mit der US-Regierung über den Verkauf des ebenfalls unwirtschaftlichen Landes Sachsen-Anhalt zu verhandeln. Die USA würden dann ihre Atombomben aus Rheinland-Pfalz dorthin verlagern, was auch im Interesse der Nato ‚näher am Feind‘ wäre.
Die zweite gute Nachricht ist, dass wir den Wirtschaftstrend des Outsourcings auf den Staat anwenden. Die teure und ineffiziente Bundeswehr schaffen wir nach dem ebenso kostspieligen wie unnötigen 100 Milliardenpaket der Ampel ab. Der Lizenzertrag für deren Verwaltung durch die größte US-Söldnerfirma steht vor dem Abschluss, die zudem auch das ganze Kriegsgerät verantwortet. So erhält der Bundeshaushalt einen feststehenden Posten und es entfallen für uns Lager- und Wartungskosten, die beim Lizenznehmer anfallen, der sich zweckmäßigerweise auch in Sachsen-Anhalt einrichtet und dort ebenfalls Arbeitsplätze schaffen wird.
Spiegel: Was sind Ihre nächsten Pläne, Herr Bundeskanzler?
Merz: Wir müssen uns noch mehr auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren. Wir werden an den Universitäten unsinnige Studienfächer wie Sozialpädagogik streichen, weil das heute von Softwareprogrammen und KI besser und billiger erledigt wird. Stattdessen müssen deutsche Kernfächer wie Ingenieurwissenschaften stark ausgebaut werden.
Spiegel: Sehen Sie, Herr Merz, hier nicht einen gewissen sozialen und sichtbaren Ausverkauf eines Landes, das einmal Deutschland war?
Merz: Keineswegs. Sehen Sie, die Mehrzahl der Deutschen, und die haben mich schließlich gewählt, will vor allem, dass sie in Ruhe ihre relative Wohlhabenheit leben können. die Wirtschaft funktioniert, im Fernsehen genug Krimis, Musik- und Talkshows laufen und in der Garage der neueste SUV steht. Diese Mehrzahl sind im übertragenen Sinne die Aktionäre meines Unternehmens Deutschland. Und sie wollen ganz natürlich Dividenden sehen. Die liefere ich.
Spiegel: Herr Bundeskanzler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch
Merz: Gern geschehen. Vergessen Sie nicht, am Ausgang die Gebühren für dieses Interview einzuzahlen. Und bevor Sie gehen: Dieses Gespräch was powered by Coca Cola light.